Lotte Reiniger war eine Pionierin des Animationsfilms, die mit DIE ABENTEUER DES PRINZEN ACHMED (1926) einen der ersten abendfüllenden Filme dieser Gattung schuf. Besonders beliebt sind ihre Märchenfilme, in denen sie die fantastischen Geschichten und Figuren durch ihre einzigartige Scherenschnitttechnik zum Leben erweckt. Anlässlich ihres 125. Geburtstags zeigen wir Lotte Reinigers ASCHENPUTTEL in der aktuellsten Restaurierung des DFF. Sie basiert auf einer Kopie für den Verleih in Großbritannien, wo sich Reiniger nach der nationalsozialistischen Machtergreifung niederließ.
Lotte Reiniger was a pioneer of animated film who created one of the first feature-length films of this kind with THE ADVENTURES OF PRINCE ACHMED (1926). Particularly popular are her fairy tale films, in which she brings the fantastic stories and characters vividly to life using her trademark silhouette technique. To mark the 125th anniversary of her birth, we are showing Lotte Reiniger’s CINDERELLA in the latest restoration from DFF. This restoration is based on a print for distribution in the United Kingdom, where Reiniger later settled after the National Socialists came to power in Germany.
Die Silhouettenfilme häufen balladenhaft Greuel auf Greuel – aber es geht uns damit, wie mit den Balladen der Bänkelsänger, die um so mehr zum Lachen reizen, je toller sie von den entsetzlichsten Untaten zu erzählen wissen. Denn die Technik der Silhouette ist eben die Stilisierung.
Wenn [in Ludwig Bergers „Aschenputtel“-Spielfilm DER VERLORENE SCHUH (1923)] die böse Stiefmutter mit dem Messer spielt, womit sich die Tochter die Ferse abhacken soll, wenn sich diese dann schaudernd hinter den Vorhang zurückzieht, so bleibt dieser Vorgang bis zuletzt peinlich. Lotte Reiniger zeigt die Tragödie selbst. Denn die Silhouette hat hier die Einfalt des Märchens, die sich an den Vorgängen nicht stößt, sondern sie als etwas Natürliches betrachtet.
Lotte Reiniger gibt den blutigen Vorgang in ihrem Aschenputtelfilm vollkommen naturalistisch, aber trotzdem wirkt er komisch, weil die Silhouette stilisiert. Es gibt hier nicht den fatalen Ernst, den die Realistik dahinter setzt, sondern das freie Spiel des Märchens, in dem selbst das Schaurige noch mit dem Schimmer des Heiteren umkleidet ist. Wenn das Blut als dicker Klumpen aus dem Schuh der bösen Stiefschwester fällt, so ist die Situation humorvoll, während im naturalistischen Spielfilm jeder Blutstropfen entsetzlich fatal wirkt, die Wahrheit schwächt.
M. Hiller: Der Silhouettenfilm, in: Der Kinematograph, Nr. 881, 6.1.1924
On 9 March 1923 the “Film-Kurier” stresses the film’s well-captured atmosphere with its naive romanticism and immanent humour, and praises the design of the silhouettes who grasp the essence of the fairytale perfectly. Each of them becomes a character with its individual life. The English distribution version was initiated by a friend of Lotte Reiniger and Carl Koch: Eric Walter White. This export version of the film was firstshown at a Film Society event in London. It continued to run in London theatres to great acclaim.
Louise Burkart, in: Il cinema ritrovato Catalogue. Bologna 2022
Notwithstanding its hectic and chaotic social environment, or even as a result of the turmoil, Weimar Germany, and Berlin inparticular, emerged as an intellectual and artistic powerhouse – a centre of innovation, outstanding avant-garde culture, creativity and fierce experimentation. Lotte Reiniger’s fairy tale films – such as DORNRÖSCHEN (SLEEPING BEAUTY, 1922) or ASCHENPUTTEL (CINDERELLA, 1922) might seem an insignificant footnote at a time of such forceful and multi-faceted artistic provocations. But like the watercolours and poems by the Expressionist Else Lasker-Schüler, Reiniger’s silhouette films are gentle reminders of the frailty of human nature as well as fundamental and subtle proclamations of the values of humanity and ethical practice as a core of civil society and the precondition for individual fulfilment.
Aneka Meier, Christiane Schönfeld, in: Beyond Prince Achmed. Marburg2022