Anlässlich der Eröffnung des 40. Bonner Sommerkinos zeigen wir den Film, der 1985 als erster Stummfilm auf dem Festival zu sehen war: BALLET MÉCANIQUE, der als Schlüsselwerk des Avantgarde-Kinos gilt, verbindet (und verdichtet) abstrakte Bilder von Menschen, Industrie und Alltagsobjekten mit verschiedenen experimentellen Filmtechniken (darunter Animationen, Überblendungen und schnelle Montagen) zu einer dadaistischen visuellen Tour de Force. Die 35mm-Kopie des EYE Filmmuseums geht auf eine rare zeitgenössische Nitrokopie zurück, die handkolorierte Einstellungen in wechselnden Farben enthält.
To celebrate the 40th anniversary edition of the Bonn Summer Cinema, we open this year’s festival by showing the first silent film to be screened at the festival back in 1985: BALLET MÉCANIQUE. The film, considered a defining work of avant-garde cinema, combines (and condenses) abstract images of people, industry and everyday objects using a variety of experimental film techniques (including animation, multiple exposures and rapid editing) to create a Dadaistic visual tour de force. EYE Filmmuseum’s 35mm print stems from a rare vintage nitrate print, which contains hand-coloured shots in a variety of different colours.
Der absolute Film. Unter diesem Titel fand neulich in Berlin eine Matinee statt, die die Novembergruppe in Gemeinschaft mit der Kulturabteilung der Ufa veranstaltete. Also eine ganz moderne Angelegenheit. Es war so überfüllt, daß es wiederholt werden mußte. Vielleicht war es die interessanteste Filmaufführung, die man je gesehen hat, und darum muß ich davon sprechen.
Die rein formalen Filme sind alle deutsch. Und sie sind alle akademisch. Sie haben bei mancher Phantasie einen doktrinären Zug und riechen nach Zeichentisch. Die französischen Filme sind nur zum Teil gemalt, zum andern und größeren Teil gehen sie auf Photographien zurück, und das alles wirbeln sie in einer mutwilligen Laune durcheinander, gewiß nicht als eine Erziehung zur Form, sondern als einen Spott über die Welt.
Was die Franzosen arbeiten, ist mit Worten gar nicht mehr zu beschreiben. Die Images mobiles von Léger, dem berühmten Expressionisten, sind ein toller Spuk ausgelassener Visionen mitten um ein kitschiges, schaukelndes Mädchen, Riesenaugen, Räderkomplexe, Autoensembles, fliegende Wälder, Spielereien mit der Zahl 5.000.000, und mitten in diesem Mischmasch von Kitsch und Technik eilende Dreiecke und Kreise als Interpunktionen.
Oscar Bie, in: Neue Mannheimer Zeitung, 11.5.1925
Ich wollte kurz von meinem BALLET MÉCANIQUE sprechen. Seine Geschichte ist einfach. Es entstand in den Jahren 1923/24. Damals schuf ich Bilder, die als aktive Elemente aus ihrer Umwelt herausgelöste und in neue Beziehungen gesetzte Objekte enthielten.
So kam ich auf die Idee, das bisher vernachlässigte Objekt auch im Film aufzuwerten, und machte mich an mein BALLET MÉCANIQUE. Ich bediente mich der gebräuchlichsten Gegenstände und verfilmte sie so, daß sie sich auf eine von mir gewollte, genau vorausberechnete Weise rhythmisch bewegten. LE BALLET MÉCANIQUE basiert auf dem Kontrast der gezeigten Objekte und der langsamen und der rasanten, der ruhig entspannten und der intensiv geballten Sequenzen. Ich stellte die Großaufnahme, die einzige Neuheit der Siebten Kunst, in den Dienst meines Werkes und benutzte zudem die Möglichkeiten des Gegenstandfragments, das man verpersönlicht, indem man es isoliert. Meine Arbeit führte mich dazu, in der sich durchsetzenden Objektivität einen neuen, höchst aktuellen Wert zu erkennen.
Wir erleben den Anbruch einer Epoche der Objekte, die sich bereits in den Geschäftsauslagen längs der Straße durchgesetzt haben.
Fernand Léger: Aus Anlaß des Filmes „Le Ballet mécanique“ (1965). Aus dem Französischen übersetzt von Robert Füglister, Bern 1971
Cinema’s downfall is the screenplay, noted Fernand Léger in the 1920s. If it could rid itself of this burden, he continued, then the cinematic arts would become a gigantic microscope for viewing things never before seen or felt.
Léger’s BALLET MÉCANIQUE provides a prototype for this microscope; it guides our view into a foreign universe, into the sphere of the mechanical, into stories freed of false drama and bothersome psychology.
BALLET MÉCANIQUE is to be understood as the continuation and expansion of a number of principles that Fernand Léger, strongly influenced by Cubism, had developed in his painting since 1910: as a systematic deconstruction of mechanized life, as a celebration of the simple graphical forms to which humans and machines can always be traced back. As prescribed by the Surrealistic method, Léger shifts the ordinary to appear as surprising.
The leading character in the film reveals Léger’s strong ties to pop culture. A cubistically alienated “Charlot,” as the French call “their” Charlie Chaplin, lifts his hat in greeting. Like a clockwork conférencier, reduced to his primary symbols (walking stick, wavy hair, moustache, bowler hat, and hobo shoes), Léger’s animated Chaplin presents his “mechanical ballet.”
Stefan Grissemann, in: Laboratorium Moderne. Wien, Nürnberg 2007